Dossiers - Jungen
Buben brauchen Unterstützung
Zunächst einige Zahlen: Der Anteil der Mädchen an höherbildenden Schulen ist im Steigen, an den AHS sind es bereits 54% - nach Kriegsende war es nicht einmal ein Drittel. Auch in den berufsbildenden Schulen nimmt der Anteil der Mädchen zu – „und sie haben die signifikant besseren Abschlüsse – dieser Trend zeigt sich auch im universitären Bereich“, berichtete Ulli Boldt im Rahmen der 4. Österreichischen Männertagung. Er unterrichtet an einer großen Gesamtschule in Bielefeld und beschäftigt sich seit langem mit dem Themenfeld Bubenarbeit.Buben stören
Gewalt, so Boldt weiter, geht in Schulen hauptsächlich von Buben aus. Was weniger oft thematisiert wird, aber ebenso ein Faktum ist: So wie bei den Erwachsenen sind auch hier die Opfer in der Mehrzahl männlich. Bei Disziplinarkonferenzen geht es oft in über zwei Drittel der Fälle um Buben und ihr „auffälliges und störendes“ Verhalten.
„Buben liegen auch bei der Zahl der Erkrankungen vorne: sowohl in physischer als auch psychischer Hinsicht.“ Boldt verweist auf den hohen männlichen Anteil z. B. bei Stottern oder Hyperaktivität, aber auch Beschwerden im Bewegungsapparat. „Wird das Kontaktverhalten zwischen Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern analysiert zeigt sich auch hier, dass Buben den höheren Anteil an Aufmerksamkeit einfordern“, ergänzt Boldt.
Fehlende Männer
Aber warum verhalten sich Buben so? Ein wesentlicher Grund ist, dass sowohl im Kindergarten als auch im Grundschulbereich kaum oder keine Männer zu finden sind. Auch zu Hause ist es nach wie vor hauptsächlich die Mutter, die für die Erziehung verantwortlich ist. Buben versuchen ihre Männlichkeit zu definieren – ein Ansatz ist dabei: Alles, was weiblich ist, ist nicht männlich. Also etwa auch einfühlendes, solidarisches Verhalten. Männer scheinen weit weg zu sein, scheinen sich hart und unnahbar verhalten zu müssen.
Buben auf der Suche
„Buben machen Probleme, weil sie Probleme haben“, betont Boldt. Das Verhalten der Buben ist ein Versuch, Antworten zu finden, wie ein Mann sein soll. Es ist ein ständiges Grenzen Austesten und auch deren bewusstes Überschreiten. Dazu gehört etwa auch, Risiken einzugehen und Schmerzen auszuhalten, sowie Gefühle scheinbar nicht zeigen zu dürfen.
Prinzipiell ist für Boldt der Ansatz der Koedukation, also des gemeinsamen Unterrichtens von Buben und Mädchen nach wie vor aktuell und sinnvoll. „Es braucht aber eine reflektive, kritische und bewusste Art der Umsetzung“: So gibt es viele Bereiche, in denen eine zeitweise Trennung von Buben und Mädchen sehr wichtig ist. Also etwa wenn es um Sexualerziehung geht, aber auch um Themenfelder wie Lebensstil, Sucht bzw. in Fächern, wo Mädchen anscheinend stärker sind wie etwa Sprachen oder dem musischen Bereich.
„Wichtig ist auch die bewusste Gestaltung der Kommunikation mit Buben.“ Boldt hat sehr gute Erfahrungen mit Mädchen- und Burschenkonferenzen gemacht. Bei den Buben wird hier vor allem auch auf Körperarbeit gesetzt, „es geht ebenso darum, einen sensiblen Umgang mit den eigenen Körper kennen zu lernen.“ Eingesetzt werden neben Kommunikationstraining weiters Übungen zur Stärkung der Selbst- und Fremdwahrnehmug – so schätzen sich Buben z. B. gegenseitig über ihre Vorlieben in Mode, Sport, Ernährung, Musik oder dem Umgang mit dem anderen Geschlecht ein.
Grundprinzipien für Bubenarbeit
Wichtig bei dieser Art der geschlechtssensiblen Arbeit ist u.a. das Grundprinzip des geschützten Raums: Alles, was in der Gruppe besprochen wird, bleibt auch dort. „Entscheidend ist auch Klarheit, also dass etwa sexistische Aussagen oder gewalttätiges Verhalten nicht akzeptiert werden“, beschreibt Boldt. Entscheidend sei zudem das Prinzip der Freiwilligkeit für die eingesetzten Übungen.
Bei der Planung von Themen und Inhalten sollen Buben einbezogen werden, „es darf nicht das Gefühl entstehen, dass nur über sie diskutiert wird und nicht mit ihnen.“ Und ein ganz wesentlicher Grundsatz: Bubenarbeit sollte hauptsächlich von Männern durchgeführt werden.
Wichtige Ziele der Bubenarbeit sind die kritische Reflexion bestehender Geschlechterverhältnisse und die Hinterfragung von männlichen „Idealtypen“. Weiters geht es um die Förderung von Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, sowie um die Sensibilisierung für alltägliche Gewalt und die eigene aktive und passive Betroffenheit. Und es soll auch Räume der bewussten anschließenden (!) Begegnung mit Mädchen geben, wo Erfahrungen ausgetauscht, gegenseitige Erwartungen formuliert werden bzw. auch gemeinsame Projekte entstehen können.
Von Christian Freisleben. Der Autor ist Journalist und Trainer.
Buchtipps
- Eine wirklich sehr gute und prall gefüllte Fundgrube an Methoden bietet das Buch von Ulli Boldt „Ich bin froh, dass ich ein Junge bin“, Schneider Verlag
- Unter Mitarbeit von „White Ribbon“-Österreich erstellt wurde der Behelf: ”Stark! Aber wie?” - Methodensammlung und Arbeitsunterlagen zur Jungenarbeit mit dem Schwerpunkt Gewaltprävention, zu bestellen über: www.whiteribbon.at
- Ebenso empfehlenswert ein Behelf der Katholischen Jungschar: „Mannsbild - geschlechtsbezogene Bubenarbeit“, zu bestellen über: www.jungscharshop.at
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