Dossiers - Mann sein
„Die Frauen haben alles erobert“
Der Soziologe Roland Girtler ist bekannt für unkonventionelle Forschungsprojekte. Immer wieder hat er es unternommen, Männerbünde zu beschreiben: Er hat „die alte Klosterschule“ untersucht, folgte den Spuren der Wilderer und tauchte in die Wiener Unterwelt ein. Sein neuestes Buch dokumentiert das Leben von Pfarrersköchinnen, sozusagen die Rückseite der männlichen Amtskirche. Männerbünde hätten ihre traditionellen Funktionen und politische Kraft heute verloren, meint Professor Girtler im Gespräch mit Y-Chefredakteur Markus Himmelbauer. Denn alle Positionen in der Gesellschaft könnten nun sowohl von Männern, als auch von Frauen eingenommen werden.Y: Wo finde ich Männerbünde?
Girtler: Völkerkundlich betrachtet gibt es Männerbünde über die ganze Erde. Da gibt es die Wilderer im Salzkammergut und die Zechen im Innviertel. Sie haben wichtige Funktionen: politische, geheime, kriminelle. Es gibt aber heute nur noch zwei Gruppen, in denen man streng an Männerbünden festhält: Ganoven und Aristokraten. Bei bürgerlichen Organisationen haben zumeist Frauen Einzug gehalten.
Y: Männerbünde sind etwas für Kriminelle und Käuze?
Girtler: Nein, zunächst dienten sie dazu, die Burschen auf den Weg zum Mann-Sein zu begleiten. Sie geben Hilfen beim erwachsen Werden, bei der Identitätsfindung und hatten auch Versorgungsfunktion.
Y: Und Frauenbünde?
Girtler: Die gibt es kaum, weil Frauen auch nie die Vertretung nach außen gehabt haben. Sie haben aber eine wichtige Funktion: Männerbünde könnten ohne die Unterstützung der Frauen nicht funktionieren. Ein Satz der kalabrischen Mafia besagt, dass der Mafioso zwei Dinge braucht: die Liebe der Frau und das Herz des Briganten.
[Zwt] Interessant ist, was verboten ist
Y: Was macht Männerbünde attraktiv?
Girtler: Männerbünde sind in einer Gesellschaft stark, die klare Grenzen hat. Pasolini sagt, Gesellschaften, in denen alles verboten ist, sind viel interessanter. Ich bin aufgewachsen in einer Kultur, in der die Geschlechter getrennt waren, jede und jeder seine Rolle gehabt hat. In der Klosterschule war die Frau für uns etwas Fremdes, wir durften ihnen nicht begegnen, wir durften nicht ins Kino gehen, nicht tanzen. Es war ein Keuschheitsgebot zur Aufrechterhaltung der Ordnung. Männerbünde haben diese Ordnung und Grenzen garantiert, zugleich hat man diese hintergangen: Das Wort „Der Kavalier genießt und schweigt“ habe ich das erste Mal in der Klosterschule gehört.
Y: Die Seilschaft, in die man z.B. in der Klosterschule eingetreten ist, trägt einen durchs ganze Leben und gestaltet Politik!
Girtler: Männerbünde haben eine wichtige politische Funktion bis heute, bei allen Richtungen: Man trifft einander, man geht dauerlaufen … aber die Frauen erobern immer mehr diese Bastionen. Wenn ich heute zu meiner Klosterschule komme, glaube ich, ich bin in einer anderen Welt: Mädchen in den Klassen, Professorinnen … Auch an den Universitäten sind mehr als die Hälfte der Studierenden Frauen. Die klassischen Männerbünde am Dorf gibt es nicht mehr: in der Feuerwehr sind Mädchen, bei der Musik und auch die Ministranten sind oft schon mehr Mädchen. Das wäre vor 30 Jahren undenkbar gewesen.
[Zwt] Eine Epoche ist zu Ende gegangen
Y: Haben die Männer versagt? Sind die Frauen einfach stärker?
Girtler: Die Zeit der Männerbünde ist vorbei, weil sie zu schwach sind und nicht mehr in unsere Zeit passen. In einer Zeit, in der die Grenzen gefallen sind, haben Männerbünde keine Funktion mehr. Das hängt auch mit der Veränderung der Wirtschaft zusammen: eine 5000 Jahre alte Bauernkultur mit ihrer klaren Arbeitsteilung ist zu Ende gegangen. Die Frauen hatten im Haus zu tun und die Männer haben Politik gemacht. Frauen bauen die Grenzen ab und untergraben so das Selbstverständnis dieser Bünde.
Y: Vor 30 Jahren haben die Männer noch gegen ihren Bedeutungsverlust gekämpft.
Girtler: Die wirren Argumente von damals, warum eine Frau das oder das nicht tun könnte, verwendet heute keiner mehr, denn in der Praxis hat sich gezeigt, dass sie haltlos waren. Die Frauen beweisen, dass sie zumindest gleich gut wie Männer sind, oft sogar besser. Auch die sexuelle Selbstbestimmung der Frau gehört hierher. Und das akzeptieren die Männer auch.
Y: Und was machen die Männer jetzt?
Girtler: Sie treiben Sport, kehren in sich und gehen den Jakobsweg. Dort, wo es Grenzen gibt, da hat eine Männerkultur offensichtlich noch Sinn. Schauen Sie die türkische Immigrantenkultur an: Die Strenge und Abgrenzung ist ihre Möglichkeit, sich bei uns zu behaupten, und dadurch werden sie stark.
[Zwt] Grenzen haben ihre Berechtigung
Y: Eine Welt ohne Grenzen, ist das nicht ein erstrebenswertes Ziel?
Girtler: Pasolini hat gesagt, dass die so genanten freien Gesellschaften, die alles erlauben, oft viel brutaler sind als die unfreien, in denen alles geregelt ist. Sie tragen mehr verdeckt zur Erniedrigung des Menschen bei, als jene, die klare Grenzen ziehen. Der Druck, sich in eine Rolle einfügen zu müssen kann genauso hart sein wie jener, liberal sein zu müssen. Beides gehört zum Mensch-Sein: Dass man sich eingrenzt und Grenzen überschreitet. Grenzen haben ihre Berechtigung, solange sie nicht dazu da sind, Andere zu erniedrigen.
Y: Was bedeutet der Niedergang der Männerbünde?
Girtler: Ich verdamme Männerbünde nicht, freue mich aber, dass die Frauen nun auch öffentlich ihre Position finden. Das Aufbauen von Grenzen hat einen gewissen Sinn gehabt. Neben den formalen Systemen gab es früher noch andere informelle Systeme, die man in der Gesamtbetrachtung der Gesellschaft einbeziehen muss. So kamen die Frauen auch früher auf ihre Kosten. Meine Mutter z.B. war die erste Landärztin in Spital am Pyhrn, in einer ganz traditionellen Gesellschaft. Trotzdem war sie in dieser kleinen Welt geachtet und hatte schon damals ihren guten Platz.
Y: Ist die Zeit der Männerbünde also vorbei?
Girtler: Männerbünde können wohl einen gewissen Zauber haben, auch heute, überhaupt wenn in ihnen alte Rituale in großzügiger Weise weitergeführt werden. Die alten Vaganten des Mittelalters waren große Trinker und dichteten herrliche Lieder dazu, die in den „Carmina Burana“ überliefert sind. Zum Teil erinnern gewisse Rituale in den Farben tragenden Studentenverbindungen noch an die alten Vaganten.
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