Race Across America
Wenn die Luft vor Hitze flirrt und der Asphalt glüht, wenn der Wüstenstaub leise durch die Nasenlöcher rieselt und einen die Augen zusammenkneifen lässt, bis man aussieht wie ein Neugeborener, dann ist man mitten drin im Abenteuer – dem Abenteuer des Race Across America (RAAM).
Einmal im Jahr sammeln sich Radfreaks aus über 25 Ländern an der US-amerikanischen Westküste um beim härtesten Radrennen der Welt ihre körperlichen und mentalen Grenzen auszuloten. Die Route führt über etwa 4.800 Kilometer quer durch die Vereinigten Staaten bis zur Ostküste. Dabei wird eine Gesamthöhendifferenz von mehr als 50.000 Metern zurückgelegt. Zum Vergleich: Der Mount Everest gilt mit 8.848 Metern als höchster Berg der Welt. Nehmen wir ihn fünfmal und es fehlt uns noch immer etwas auf die 50.000er-Marke.
Die Zeit ist das Ziel
Im Gegensatz zu den Klassikern wie Tour de France oder Giro d’Italia, handelt es sich beim RAAM allerdings um kein Etappenrennen. Das Race Across America ist eine einzige Etappe. Nach dem Startschuss zählt nur mehr das Ticken der Uhr. Zeitlimit: 12 Tage. Den heiß umkämpften Titel trägt dann derjenige weg, der die Strecke innerhalb der kürzesten Zeit zurücklegt. Die Schnellsten benötigen gerade mal 8 Tage. Es gilt einzig und allein, möglichst rasch ins Ziel zu kommen und dabei die etwas mehr als 50 Kontrollstellen zu passieren. Fragen wir mal den Rechner: Bei 4.800 Kilometern in ihrer Gesamtheit macht das mindestens 400 Kilometer am Tag.
Wie man ans Ziel kommt, bleibt einem selbst überlassen. Wer weniger schläft, kann länger in die Pedale treten. Und so kommt es dazu, dass viele Solofahrer, die in den vorderen Rängen mitmischen möchten, ihr Schlafpensum auf 90 Minuten pro Tag herunter schrauben.
Weil Sicherheit auch hier ein hohes Gut ist, wird jeder Fahrer von einer eigenen Support-Crew begleitet, die für Essen, Flüssigkeit, Gewand, Medikamente, Navigation und Reparatur zuständig ist. Sollte sich der Fahrer in gesundheitliche Gefahr begeben, ist die Crew angehalten, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen herunterzuholen.
Am Rad der Geschichte drehen
Die Geburtsstunde des RAAM geht zurück ins Jahr 1982. Damals noch unter dem Titel „Great American Bike Race”, machten sich vier Einzelfahrer auf, um vom Santa Monica Pier in Los Angeles zum Empire State Building in New York City zu radeln. Die Idee eines Cross-Country-Rennens ist freilich noch ein wenig älter. Es war in den späten 1880er Jahren, als der Journalist und Fahrrad-Fan, George Nellis Jr., sich auf einem Hochrad aufmachte, das Land zu überqueren. Geschafft hat er es schließlich in unter 80 Tagen und wurde damit zur Inspiration für viele nachfolgende Pedalritter. Wie auch John Marino, der in den 1970er Jahren herausfinden wollte, wie schnell man mit dem Rad die Vereinigten Staaten durchqueren kann. Und weil Konkurrenz nicht nur das Geschäft belebt, machten sich bald weitere Cyclisten daran, die Zahlen zu unterbieten – bis 1982 das erste Kopf-an-Kopf-Rennen und damit der Urvater des heutigen RAAM das Licht der Welt erblickte.
Seit 1992 sind auch Teams zum Rennen zugelassen. Die Zweier-, Vierer- und Achtergruppen werden allerdings separat bewertet und haben auch nur höchstens neun Tage Zeit, um ins Ziel zu kommen.
Lodernde Leidenschaft und wallendes Blut
Das Alter der Teilnehmer deckt ein Gebiet von 13 bis 75 Jahren ab. 15% der Teilnehmer sind Frauen. Ein nicht so kleiner Teil der Fahrer tritt im Zeichen der Charity in die Pedale und so kommen jährlich mehr als 2 Millionen Dollar für Hilfsprojekte zustande.
Erfolgreichster Einzelfahrer ist mit fünf Siegen der Slowene Jure Robic. Auch drei Österreicher konnten bereits unter den Siegern mitmischen: Wolfgang Fasching konnte drei Mal (1997, 2000, 2002) den ersten Platz einheimsen, gefolgt von Franz Spielauer, der 1988 als erster Nicht-Amerikaner das Rennen machte und dem Vorjahressieger Christoph Strasser.
Heuer, im Jahr 2012, fuhr man durch 12 Staaten, 88 Bezirke und 350 Gemeinden und überquerte mit Mississippi, Rio Grande, Missouri, Arkansas und Ohio die fünf längsten Flüsse in den USA.
Diverse Gebirgspässe und Wüstengebiete gehören zum Gesamtpaket natürlich dazu. Die Strecke des Race Across America ist etwa 30% länger als die der Tour de France – dafür haben die Fahrer nur die Hälfte der Zeit zur Verfügung. Fair enough.
Natürlich gibt es die kritischen Stimmen, die in diesen Extremsituationen für Körper und Psyche die Gefahr von bleibenden körperlichen Schäden sehen. Doch handelt es sich bei den RAAM-Teilnehmern um Menschen mit brennender Leidenschaft. Und Leidenschaft kann schon mal Berge versetzen. Manchmal sogar die Rocky Mountains.
Autor: Mag. Oliver Rapouch
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