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Einwanderung in Wien oder

Willkommen im 21. Jahrhundert

Interview mit Kilian Heerkloß, Leiter einer Sprachschule in Wien, geboren in Rostock (Deutschland), verheiratet. Seine Frau kommt aus Donezk und lebt seit 15 Jahren in Wien.
Kilian Heerkloß
Kilian Heerkloß -

Kilian Heerkloß, Sie leiten eine Sprachschule in Wien und bieten Deutsch-Kurse an. Woher kommen Ihre Schüler und warum kommen sie nach Wien?

Die meisten unserer Schüler kommen aus Süd- und Osteuropa, also Italien, Spanien, Griechenland sowie Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Ukraine. Die meisten von ihnen studieren oder haben einen Hochschul-Abschluss, sind zwischen 25 und 35, ehrgeizig, motiviert, wollen sich in Wien niederlassen, eine gute Arbeit finden und eine Familie gründen.

Wie wird diese Einwanderung Wien in den nächsten Jahren verändern?

Wien liegt genau in der Mitte von Europa, an der Kreuzung von Ost und West, Nord und Süd. Bereits jetzt sind die Hälfte aller Einwohner Wiens Einwanderer. In den nächsten Jahren werden sie die Mehrheit der Bewohner Wiens bilden. Und die neuen Einwanderer  sind jung, gebildet, international vernetzt. Sie werden sich nicht damit zufrieden geben, Pizza zu backen und Taxi zu fahren. Die neuen Einwanderer werden ihren Platz in der Mitte der österreichischen Gesellschaft beanspruchen. Einige typische österreichische Traditionen werden dadurch möglicherweise zurückgedrängt werden. Kaum einer von meinen Schülern weiß, was ein Kaffeehaus ist und wenn, dann finden die meisten es eher skurril als attraktiv. Ski-Kurse werden  nicht mehr für alle Schüler selbstverständlich sein und kaum jemand wird etwas mit Franz Joseph, dem Schilling, Cordoba und anderen Ikonen der österreichischen Kultur verbinden.

Die neuen Einwanderer lieben Wien, sie empfinden Wien als international, zukunftsorientiert, entspannt, gut organisiert, tolerant, sauber und romantisch, haben also teilweise ein anderes Bild von dieser Stadt als die hier Geborenen. Und - so meine Hoffnung - das wird die Stadt, ob sie es will oder nicht, zum Positiven verändern, dazu führen, dass die Menschen mehr nach vorn schauen und nicht mehr "vertrauensvoll in die Vergangenheit". Der kanadische Journalist Doug Saunders erwähnt übrigens in seinem ausgezeichneten Buch "Arrival City", dass alle erfolgreichen Städte in der Vergangenheit Einwanderungsstädte waren.

Sebastian Kurz hat kürzlich gefordert: Deutsch zuerst. Wird Deutsch die wichtigste Sprache bleiben?

Natürlich wird Deutsch die gemeinsame Sprache sein, mit der man sich auch in Zukunft verständigen wird. Aber man sollte die Augen nicht davor verschließen, dass die Bedeutung anderer Sprachen zunehmen wird. In Deutschland ist z.B. die derzeit meistgesprochene Sprache nach Deutsch nicht, wie man annehmen könnte, Türkisch, sondern Russisch.

In Wien ist die Frage nicht Ein- oder Mehrsprachigkeit sondern zwei oder vier Sprachen pro Familie. Ein Bekannter von mir kommt aus Israel, seine Frau aus Mexiko, miteinander sprechen sie Englisch und ihre beiden Töchter gehen in den deutschsprachigen Kindergarten in Wien. Eine Schülerin von mir ist in Taiwan geboren, hat 12 Jahre in Norwegen gelebt, im Urlaub  ihren slowakischen Ehemann kennen gelernt und beschlossen, mit ihm nach Wien zu ziehen. Vor Kurzem kam ihre Tochter zur Welt. Die Mutter meinte zu mir, dass ihre Tochter natürlich Mandarin, aber auch Norwegisch lernen sollte, der Vater wünscht sich, dass die Tochter mit den Großeltern Slowakisch spricht, die Eltern sprechen miteinander Englisch und die Tochter wird in Wien aufwachsen. Deutsch wird da eine von mehreren Sprachen sein.

Mein sechsjähriger Sohn wächst, vergleichsweise unkompliziert, nur zweisprachig auf: Russisch und Deutsch. Meine Frau und ich können bisher nicht sagen, welches bei ihm die Erst- und was die Zweitsprache ist, beide Sprachen werden gleichberechtigt in unserer Familie gesprochen (da ich selbst auch Russisch spreche und meine Frau ausgezeichnet Deutsch).

Wie sollte man die neuen Wiener nennen?

Auf keinen Fall "Menschen mit Migrationshintergrund"! Dieser sogenannte Hintergrund ist bei vielen von ihnen ein wichtiger Teil ihrer Identität, den sie in zahlreichen Vereinen, Festivals, Facebook-Gruppen usw. pflegen. Mein Sohn hat für diese Frage kürzlich eine ausgezeichnete Lösung gefunden. Er ist in Wien geboren und hat - danke Österreich - zwei Staatsbürgerschaften: die deutsche von mir und die ukrainische von meiner Frau. Vor Kurzem fragte er mich:

"Papa, wie heißen die Menschen in Österreich? Ich: Österreicher. Er: Dann bin ich Österreicher? Ich antworte etwas verlegen: Nein, du bist Deutscher und Ukrainer. Mein Sohn denkt kurz nach. Dann: Ah, jetzt verstehe ich: es gibt deutsche Österreicher und russische Österreicher und englische Österreicher..."

In seiner Kindergartengruppe werden 14 verschiedene Sprachen gesprochen, nichts ist für ihn selbstverständlicher als der Fakt, dass seine Freunde verschiedene Sprachen sprechen und Verwandte in unterschiedlichen Ländern haben.
Also: wie wäre es mit "neue Österreicher", selbst wenn sie den Pass noch nicht haben?

Und was ist, wenn Einwanderung vielen Menschen, die schon länger in Wien leben oder hier geboren sind, nicht gefällt?

Abgesehen von FPÖ-Wählern gibt es interessanter Weise auch unter Menschen die vor 10 oder 20 Jahren nach Wien eingewandert sind, die Auffassung, jetzt wäre es aber genug und die Neuen (d.h. also derzeit Spanier, Bulgaren und Rumänen) sollten lieber zu Hause bleiben. Aber wie der bereits erwähnte Doug Saunders schreibt, kann man Migration nicht verhindern, man kann sie nur gestalten. Ganz gleich, was die Politik erfindet, um Österreich von der Welt abzuschotten - Einwanderer werden weiter kommen und sie werden bleiben. Man kann sie integrieren , ihnen neben Pflichten auch Rechte geben, etwa das Wahlrecht, oder sie abschotten und ihnen das Gefühl geben, dass sie unwillkommen sind. Dann ziehen die Hochqualifizierten weiter, z.B. in die USA oder nach Australien, und die Ärmeren und Ungebildeten igeln sich ein in eine rückwärtsgewandte Identität, die es so in ihren Heimatländern gar nicht gibt.

Natürlich ist es auch eine Frage von Gerechtigkeit, dass Österreich, welches wirtschaftlich besonders von der EU-Osterweiterung profitiert hat, EU-Bürgern gestattet, sich hier niederzulassen. Aber abgesehen davon werden die jungen, die gebildeten und die ehrgeizigen Leute hier gebraucht und man sollte viel mehr dafür tun, sie willkommen zu heißen. Die Zeit, als Wien gemütlich in einem Winkel zwischen dem eisernen Vorhang im Osten und den Alpen im Westen von einer vermeintlich besseren Vergangenheit geträumt hat, ist wohl vorbei.

Kilian Heerkloß, wir danken Ihnen sehr für das interessante Gespräch!

Unser Interviewpartner ist Leiter der renommierten Sprachschule "Deutschzentrum Wien".

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