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Meinung “Perspektiven“

Bevor der Vater geht ...

„Weißt du, ich brauch’ jemanden zum Reden sonst wird’ ich krank. Da bist du mir recht“, sagte der bald 81-Jährige zum bald 50-jährigen Sohn.
Er lebt allein. Seine Frau ist tot. Ein Sohn arbeitet viel. Der andere lebt weit entfernt.
Bevor der Vater geht
Bevor der Vater geht - © Balazs Kovacs Images - Fotolia
Der Alte erzählt dieselben Geschichten, stellt immer dieselben Fragen. Er interessiert sich für das, was ich als Sohn mache. Ich habe es ihm schon oft erzählt; immer wieder möchte er es wissen. Und bevor ich gehe: „Erzähle mir noch was.“ Und ich weiß, er meint nicht irgend-was, sondern er möchte noch etwas von mir hören. (Das war nicht immer so.) Wie es mir geht. Was mich bewegt und was ich bewege. Nicht oberflächliches Reden über Politik und regionale Skandalgeschichten.
Langsam „verkalken“ seine Blutgefäße, die Ohren werden tauber, Gebrechlichkeit macht sich breit. Altern ist die Brücke zum Sterben. Mein Vater fühlt es und ich fühle es. Manchmal meiden wir das Thema der bevorstehenden Trennung. Wir schweigen uns dann an oder reden von irgend-was; ja nicht ums Eingemachte. Wir haben dann Spaß, aber sind nicht erfüllt verbunden.

Erzählen und zuhören
Immer mehr beginne ich, ihm zuzuhören. Er sagt oft etwas Unlogisches, verwechselt die Szenen in den Geschichten, ist auch oft recht stur. Ich höre ihm dann einfach zu – weniger dem, was er erzählt, sondern ich höre ihm zu und höre ihn – meinen Vater. Die Unterschiede unserer Lebenssicht sind nicht mehr entscheidend. Ich merke, dass wir über die Unterschiede hinweg verbunden sind. Und noch was habe ich gelernt: Ich möchte dann allein sein mit ihm; fahre mit ihm weg, gehe spazieren – und genieße die Zeit mit ihm.

Autor: Leo Pöcksteiner, Männerberatung St. Pölten

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